Lot 933
Aquarell, Bleistift und Tusche auf Papier.
H 235 mm B 320 mm.
(Rahmen). Betitelt.
CHF | 5'000 / 9'000 |
EUR | 4'300 / 8'000 |
USD | 5'400 / 10'000 |
Zuschlagspreis: CHF 4'800
Provenienz: Schweizer Privatbesitz.
Schweizer Volkskunst mit Schwerpunkt Appenzell und Toggenburg In der Schweizer Volkskunst bildet diejenige aus dem Appenzell und Toggenburg einen Schwerpunkt mit ihren Bildern und Plastiken, bemalten Möbeln, Holzgeräten zur Milchverarbeitung (Weissküferei), Messing- und Silberbeschlägen (Tierschmuck und Teile der Sennentracht), dem Trachtenschmuck der Sennentracht, mit textilen Teilen der Sennentracht und auch den Hauben der Silvesterchläuse. Aus der übrigen Schweiz sind hauptsächlich Scherenschnitte des Waadtländer Pays-en-Haut und des Saanenlandes bekannt. Louis Saugy (Rougemont 1871-1953) hat Scherenschnittbilder von hoher Qualität und einer freien, bildmässigen Gestaltung geschaffen (Lot XXX). Die Senntummalerei ist wohl das interessanteste Gebiet der Volkskunst aus Appenzell und dem Toggenburg. Dies besteht in der Hauptsache aus Tafelbildern mit Darstellungen aus dem Leben der Sennen-Bauern. Solche Tafelbilder finden sich erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts. Ab dann wurden sie in grosser Anzahl von verschiedenen Malern bis in die heutige Zeit hinein gefertigt. Aus den Beschreibungen des Appenzellerlandes in den Gelehrtenschriften aus dem 19. Jahrhundert geht hervor, dass sich das Leben und Denken der Sennen um die Kühe drehte. Die Kuh ist somit auch das zentrale Motiv in der künstlerischen Produktion dieser Zeit. Zu den frühesten Zeugnissen der tafelbildähnlichen Senntummalereien jener Zeit, gehören einerseits lange, schmale, bemalte oder in Holzschnitttechnik bedruckte, papierne Bänder (sogenannte "Sennenstreifen") mit Motiven der Alpfahrt oder schmale und lange Holzbretter mit Darstellungen der Alpfahrt. Zwei besonders gut erhaltene Sennenstreifen von mehr als drei Meter Länge gestaltet von J. G. Zähndler (Lot XXX) und Christian Vetsch (Lot XXX) kommen zur Versteigerung. Johann Jakob Heuscher (1843 Herisau - 1901 St. Gallen) entwickelte richtungsweisende Darstellungsformen für die sachgetreue Wiedergabe von Liegenschaften. Er verwendete fast durchwegs dünn aufgetragene ölfarbe, zum Teil auch nur Wasserfarbe mit Deckweiss, und das Blau des Himmels ist bei ihm immer mit dem Farbstift gemalt. Anna Barbara Aemisegger-Giezendanner (1831 Bendel, Kappel - 1905 Hemberg), genannt "Babeli Giezendanner", ist die zentrale Figur in der Bauernmalerei des Toggenburgs. Im Vergleich zu den Appenzeller Bauernmaler sind ihre Bilder feiner, und was die Darstellung der Landschaft und der von ihr gut beherrschten Perspektive betrifft, realistischer und weniger primitiv gemalt. Ihrer Zeichnungsart wird oft etwas Biedermeierliches nachgesagt. Die Arbeiten des Toggenburgers Felix Brander (1846 Ebnat - 1908 Ebnat) zeigen häufig Wirtschaften des Toggenburg. Einige seiner Werke sind signiert und auch datiert. Er verwendete immer Aquarellfarben, Deckweiss und Bleistift und legte grossen Wert auf genau wiedergebende Konstruktionen der Häuser, da er sich als gelernter Dachdecker sich mit den Fachkonstruktionen, Giebeln, Kamine usw. bestens auskannte. Eine Besonderheit sind die sogenannten "Silvester Chläuse" (Lot XXX und XXX): Hüte und Hauben, die zum "Chlausen" am alten und neuen Silvester (13. Januar bzw. 31. Dezember, nach Julianischem bzw. Gregorianischem Kalender) nur in Appenzell-Ausserrhoden getragen werden. Das Chlausen ist ein reiner Männerbrauch. An den besagten Tagen ziehen Gruppen von meistens sechs Männer in einer bestimmten Anordnung von morgens früh bis abends spät häufig in ihrer eigenen Gemeinde, von Gehöft zu Gehöft. Der vorderste Chlaus der Gruppe ist der"Vorrolli" auch "Rollewiib, der hinterste der "Nachrolli". Beide sind als Frauen verkleidet und tragen grosse schmale Hauben, die von allen Seiten angesehen werden können. Die Schellenchläuse dazwischen tragen flache Hüte. Im Innenteil der Nischen der Hauben vorn und hinten und auf den flachen Hüten ist eine Vielfalt von figürlichen Szenerien montiert. Jede Gruppe hat ihr eigenes Thema mit Darstellungen aus Sitten und Gebräuche des eigenen Landes. Nicht selten wurden die Hauben und Hüte von den Trägern in Gemeinschaftsarbeit oder von einem oder zwei Mitgliedern der Gruppe selbst hergestellt. Literatur: - Bruno Bischofberger. Volkskunst aus Appenzell und dem Toggenburg, Sammlung Bruno Bischofberger. Zürich, Edition B-Press, 1973. - Filippa Guy. Blick in eine Idylle, Schweizer Volkskunst und naïve Malerei aus vier Jahrhunderten. Bern, Benteli, 1983 - Franziska Schürch. Landschaft, Senn und Kuh. Die Entdeckung der Appenzeller Volkskunst. Münster, Waxmann Verlag, 2008.
Die Toggenburger Malerin Anna Barbara Aemisegger-Giezendanner (1831-1905) ermöglicht uns einen idealisierten Blick in das bäuerliche Leben vor rund 150 Jahren. «S’Giezedanners Babeli», wie die Künstlerin damals im Volksmund genannt wurde, verlor früh ihren Mann und musste fortan als Witwe mit drei Kindern den Familienunterhalt allein verdienen. Da die Handweberei zu wenig einträglich war, bildete sie sich selbst zu einer Meisterin im Zeichnen und Malen von bäuerlichen Motiven aus. Zahlreiche Bauern beauftragten sie, ihren ganzen Stolz, sprich Hof, Garten, Vieh und Familie zu portraitieren und Babeli Giezendanner hielt sich mit ihren Kunstaufträgen über Wasser.
Giezendanners Bilder führen uns heute in eine vergangene Zeit, in ein heimatliches Idyll zum Träumen.